Pressestimmen zu „Mondpunk“
von laut.de, Ulf Kubanke, 2/2011
Wie ein Mix aus zappaeskem Dschungelbuch und Muppetshow.
Strom und Wasser sind Essenzen, ohne die wir total im Eimer wären. So ähnlich verhält es sich auch mit der gleichnamigen Band von Heinz Ratz und vor allem mit der wunderschön betitelten Scheibe „Mondpunk“. Nach dem Genuss dieser 17 Lieder fragt man sich unwillkürlich: Wie konnte ich nur ohne diese Musik, ohne solche Texte mein bisheriges Dasein fristen?
Denn der freundlich knuffige Mondpunk – im einnehmend gestalteten Artwork kongenial verewigt – fungiert dabei als Alter Ego eines jeden unter uns, der schlussendlich begreift, worum es im Leben gehen sollte und dabei unmerklich seine irdische Spießer-Hülle abstreift.
Derlei Verspieltheit soll man nicht leichtfertig als Hang zu Kitsch oder geschmäcklerisch kalkulierter Pseudo-Niedlichkeit interpretieren. Im Gegensatz zu der liebenswerten Nachtgestalt schont Chefkomponist Ratz sein Publikum nämlich nicht im Geringsten.
Direkt, ungeschminkt, pointiert, lakonisch und derb verkündet Ratz ein Füllhorn voll kleiner und großer Weisheiten. Er zelebriert es mit der ihm eigenen leicht räudigen Mischung aus Abgeklärtheit und fiebrigem Enthusiasmus, die nur ein echter Raindog haben kann.
Die sadopoetische Dichte an druckreifen Aphorismen für die Ewigkeit ist dermaßen hoch, und ich scheue mich nicht, diese CD als ähnlich gehaltvoll und wichtig für unsere Zeitgeist gebeutelten Tage zu erachten, wie die ewige Schatzkammer ‚Der kleine Prinz‘ von Saint-Exupéry. Spielerisch entlarven Strom Und Wasser nur scheinbar lächerliche Begleiterscheinungen unserer Gegenwart als Pestbeulen charakterlicher Unkultur des ewigen Misanthropen. “ … eine Asylfamilie, die sich verzweifelt umklammert hält. Und das kleinste Mädchen so traurig und müd‘. Es begreift viel zu gut, was geschieht. Der Beamte bleibt hart und sagt: hier nicht! In seinem Gesicht ist das Lächeln von Dieter Bohlen. Er zeigt es offen und unverhohlen“.
Getreu diesem absoluten Konzept des sich selbst nie schonenden Künstlers im Dienste der guten Sache gibt Ratz entschlossen den mal distinguierten, dann wieder geifernd bellend ungebrochenen Aristide Bruant deutscher Liedermacherkunst. Sein Montmartre ist hierbei ganz Deutschland.
In dieser Art portraitiert er den alltäglichen Überlebenskampf nicht nur der Armen, sondern all jener, die überhaupt noch etwas spüren. „Schweigen, Gehorchen, Arbeiten und Schlafen. Das ist die Welt von Wölfen. Das ist die Welt von Schafen. Fressen, Fernsehen, Saufen, Ficken, Streiken – Das soll der Sinn des Lebens sein in hiesigen Zeiten.“
Der Band eine gewisse stilistische Flexibilität zu bescheinigen, geriete zur Untertreibung des Jahres. Blutjazzer scheinen sie allesamt! Trotz klingenscharfer Arrangements mit einem unstillbaren Hang zur Ekstase; Minimalisten alter Waits-Schule mit einem Schlenker zu frohwandlerischem Vaudeville und chansonesken Tränenziehern gleichermaßen. Denn sie wissen: Die Welt hat ein wildes Herz. Bei Bedarf könnte die erstaunliche Truppe wohl ohne Probleme etwas so rauhes wie den kompletten Backkatalog der Dead Kennedys herunterkloppen – ohne sich zu verbiegen.
Die totale Fusion also? Ja! Und zwar in Vollendung. Besonders angenehm geraten die Songs, wenn Tastenmann Enno Dugnus seiner Modern Jazz-Vorliebe nachgibt. „Kleine Verstecke“ oder „Was Für Ein Lied“ geben der bunten Mischung aus zappaeskem Dschungelbuch und Muppetshow das höchst erstaunliche Quentchen Dave Brubeck. Der Stoiker im ihn umgebenden Wahnsinn.
Ebenfalls Highlights sind das gelegentlich eingestreute leicht zickige Sax sowie die funky ‚Herr Rossi sucht das Glück‘-Flöte von Arne Assmann. Auch krachigere Untertöne stehen dem Sextett außerordentlich gut. Das lyrisch ohnehin brillante „1×1 Des Herzens“ kippt in der zweiten Hälfte zusehends von träumerischer Litanei zu gefährlich loderndem Arschtreter-Rock samt ekstatischer ‚Schaum-vor-dem-Mund Vocals‘ des Oberschamanen Ratz. „Wir können uns nur retten, wenn wir lieben! Für solche Sätze wird man ausgelacht. Man hat uns keine Liebe beigebracht. Nur ziemlich müde schon gemacht.“
Eingängiger, indes voll grimmig sezierenden Humors sind die Hit verdächtigen Songs „Virus“, „Moderner Fünfkampf“ und „Plastikpuppenboy“. Mit solch schräg fluffigen Ohrenschmeichlern aus der Säureküche bekommt man am Ende sogar die jeweils verspottete Zielgruppe aufs teuflisch glatte Parkett.
Bei so viel halsbrecherischer Sinnlichkeit verwundert es an dieser Stelle höchstens noch sehr träge Geister, dass der ‚Heilige Heinz‘ auch als romantisierender Eros und Lobsänger holder Weiblichkeit eine mehr als gute Figur abgibt. „Ich Werd‘ Immer Etwas Finden“ spielt geschickt mit dem altbekannten Minne-Aufzählreim, den schon Cohen anno 1987 auf „I’m Your Man“ perfektionierte.
Nun, es würde mir beileibe nicht schwer fallen, noch weitere 17 Seiten über die gleiche Anzahl dieser Stromlieder zu schreiben: Dies ist eine der beeindruckendsten Singer/Songwriter-Scheiben, die ich je gehört habe. Solch ebenso talentierte wie kompromisslos subversive Künstler braucht jeder Landstrich. Dringend.